30 Tage, 30 Wege

Vom 5. Januar bis 3. Februar 2025 durfte ich den Oman auf abenteuerliche Art und Weise kennenlernen. Ich übernachtete grösstenteils im Schlafsack in der Wildnis und bewegte mich per Anhalter fort. Mit leichtem Gepäck und ohne genaue Route liess ich mich durch das Land treiben. Dies ist die Geschichte meines 30-tägigen Abenteuers.

Text und Bild sind geistiges Eigentum von Florian Zeiter und dürfen in keiner Weise ohne vorherige schriftliche Einverständnis weiterverwendet werden.

 Vom Flughafen in die Wildnis

Milchig weiss reflektiert das breite Tal den Halbmond. Felsen hoch wie Menschen liegen verstreut wie verlorene Findlinge im ausgetrockneten Flussbeet. An den Seiten ragen steile, karge Felshügel in den Nachthimmel. In weiter Ferne markieren imposante Berge das Ende des Tals. Und über allem erstreckt sich ein Sternenhimmel, dessen Glitzern man stundenlang bewundern könnte. Ausser dem Zirpen der Grillen und dem Knistern des Lagerfeuers herrscht totale Ruhe. Die Vögel zwitschern nicht mehr und auch das Geblöke der vielen Geissen ist verstummt. Ich bin satt und geniesse die Wärme der züngelnden Flammen. Den Schlafsack habe ich bereits unter einem grossen, Wind stoppenden Dattelbaum ausgebreitet. Ich bin zufrieden und fühle mich sicher und willkommen. Es scheint mir ein vielversprechender Start in mein einmonatiges Abenteuer im Oman zu sein.

Nach einem Nachtflug ohne viel Schlaf war ich gestern Früh in Muskat, der Hauptstadt, gelandet. Der Fahrer des Busses, der uns aus dem Areal des Flughafens brachte, schien genauso müde zu sein wie ich. Seine geschwollenen Augen waren häufiger zu als offen. Nur das Rattern der Seitenlinien schien uns vor Schlimmerem zu bewahren. Nach einem lustlosen Mittagessen am Rande eines riesigen Parks begann ich, mein Glück beim Autostopp zu versuchen. Es lief harziger als erhofft. Ich wurde nur kurze Strecken mitgenommen und an lauten, unübersichtlichen Kreuzungen wieder herausgelassen. Nach mehreren Stunden erreichte ich Nakhal, bekannt für eine der imposantesten Festung des Landes. Bei der Ankunft fielen mir sofort die vielen Palmen auf, die das gesamte Tal bedecken. Bis anhin dominierten karge Felsen und viel Sand das Landschaftsbild. Doch hier sorgten die Flüsse, die in den nahe gelegenen Bergen entspringen, für einen ganz anderen Anblick. Ebenfalls fiel mir der Felshügel auf, der direkt am westlichen Rand der Stadt steil in den Himmel ragte. Nach Rücksprache mit Einheimischen richtete ich auf dessen Spitze mein Nachtlager ein. Ich beobachtete die Sonne, wie sie ein letztes Mal die Türme der Festung in ein goldenes Licht tauchte und dann hinter der Bergkette verschwand. Schnell übermannte mich eine riesige Müdigkeit und schlief fast ununterbrochen zwölf Stunden durch.

Nach dem Besuch der sehr touristischen Festung am nächsten Morgen folgte ich der Strasse zum Fuss der Berge. Ich freute mich riesig auf ein Bad im dort entspringenden Fluss. Ich erwartete eine Abkühlung und staunte nicht schlecht, als ich in einen natürlichen Pool am Rande des Flusses stieg. Knapp vierzig Grad beträgt dort die Temperatur, dank einer aus dem Berg sprudelnden heissen Quelle. Im Fluss liess ich anschliessend eine Heerschar kleiner Putzerfische meinen Körper abknabbern. Nach einer Stärkung folgte ich dem Tal flussaufwärts. Bald schon verschwand das heisse Wasser im Untergrund. Nur noch vereinzelte Bäume liessen auf das viele Grundwasser rückschliessen. Vorbei an grossen Herden von Ziegen drang ich immer tiefer in das abgelegene Tal vor. Die steinigen Hügel begannen bald in der Abendsonne rot zu leuchten, bevor sich die Nacht ausbreitete. Angekommen in einer wild-romantischen Landschaft schaue ich dem Feuer zu, wie es die letzten Holzscheite verschlingt. Unter dem Funkeln des Sirius bestaune ich eine nah verglühende Sternschnuppe, die mit ihrem Schweif das ganze Tal zu überbrücken scheint.

 Die Tücken des Trampen

Mein Magen beginnt zu knurren. Meine Essensvorräte habe ich schon gestern Abend grösstenteils aufgebraucht. Die paar Datteln und der Kaffee, der mir im letzten Dorf offeriert wurde, beginnen in ihrer Wirkung nachzulassen. Zumindest habe ich ausreichend Wasser und ein schattiges Plätzchen am Rand der Schotterstrasse gefunden. Ich hoffe, dass bald ein Auto vorbeifährt und mich in das nächstgrössere Dorf mitnimmt. Doch die Gegend ist dünn besiedelt und der Verkehr rar. Etwas, das ich auch schon gestern erfahren musste.

Nach einer erholsamen und warmen Nacht verliess ich das Wadi wieder auf demselben Weg. Bei den heissen Quellen bereitete ein junger Mann gerade mit grösster Liebe und einem Auge für Ästhetik sein Frühstück zu. Auf einem kleinen Tisch erhitzte er Wasser, um Kaffee aufzukochen. Daneben lagen Fladenbrot, Honigwaben, Litschis, Erdbeeren und Pistazien bereit, aufwändig und wunderschön präsentiert. Er lud mich ein, mit ihm zu frühstücken. Doch zuerst hatte ich die Ehre, den Kaffee nach präzisen Vorgaben zu übergiessen, damit er ein Video für sein Instagram machen kann. Gestärkt fuhr ich per Autostopp tiefer ins Herzen der imposanten Bergkette. Auf kurvigen und steilen, unbefestigten Strassen erklommen wir Hügel um Hügel, bis die Fahrt unverhofft plötzlich endete. Irgendwo im Nirgendwo wohnte der Fahrer in einer kleinen Hütte und von dort aus hatte ich dann selber weiterzuschauen.

Nach einem schweisstreibenden Marsch unter der hoch stehenden Mittagssonne erreichte ich schliesslich eine Lodge. Ohne Gäste und demzufolge geschlossen, war nur noch ein Wärter vor Ort. Er erbarmte sich meiner unglücklichen Situation und kochte mir mit viel Liebe ein herzhaftes und ausgiebiges Mittagessen. Er bot mir sogar an, die Nacht in einer Lounge oder einem Tipi zu verbringen, die Dusche zu benützen, alles kostenfrei. Doch ich hatte andere Pläne. Ich kam ins Gespräch mit einem saudi-arabischen Tramper, der mir eine besondere Route empfahl.

Ich folgte dem ausgetrockneten Flussbeet durch enge Schluchten, bis ich bald ein leises Plätschern vernahm. Ich fand ein kleines Rinnsal vor, in das haufenweise Frösche flüchteten, sobald ich zu nahe kam. Eine kleine, schneeweisse Wasserschlange verkroch sich rasch hinter einem Stein. Dichtes Schilf erschwerte mir das Durchkommen. Von deren Halmen flogen kleine Vögel davon, sobald sie mich bemerkten. Ich genoss den abwechslungsreichen Spaziergang, bis mich die Dämmerung zum Halten zwang. In einem trockenen Seitenarm des Flusses verbrachte ich eine weitere sternenreiche Nacht, wenn auch empfindlich kühl gegen Morgen in einer Höhe von 1000 Meter. Doch spätestens als die ersten Sonnenstrahlen die Bergkette in ein goldenes Licht tauchten und die Sträucher saftig grün zu leuchten begannen, waren alle Unannehmlichkeiten vergessen.

 Der hungrige Marsch

Steil ragen die Gipfel der Jebel Shams Gebirgskette in den morgendlichen tiefblauen Himmel. Vereinzelte Sonnenstrahlen finden ihren Weg durch die Wolkenfelder. Ziegen klettern über ockerrote Felsen und knabbern an saftig grünen Dattel- und Feigenbäumen. Ein Hahn kräht unermüdlich, ein Hirte ruft seine Herde zusammen. Ich höre vereinzelte Stimmen aus dem tief unter mir liegenden Bergdorf, wo ich letzte Nacht in einem malerischen Canyon verbrachte. Ich sitze auf einem Felsvorsprung und bestaune die weite Wildnis durch den Feldstecher. Zeit habe ich schliesslich ausreichend, denn die Mitfahrgelegenheiten hier im omanischen Hochland sind rar.

Mein knurrender Magen von vorgestern wurde mit jeder Stunde lauter. Die Hoffnung auf ein vorbeifahrendes Auto musste ich begraben. Es blieb mir nichts anderes übrig, als weiterzumarschieren. Die Landschaft konnte ich schon bald nicht mehr geniessen. Die glitzernden Bäche liessen mich kalt. Meine Gedanken kreisten nur noch um Essen. Alles andere begann ich zu verfluchen. Die Pausen wurden häufiger, ich kam den Tränen nah. Mit der viel befahrenen Hauptstrasse als Ziel bereits in greifbarer Nähe, traute ich meinen Ohren kaum. Ich drehte mich um und sah ein Motorrad langsam auf mich zurollen. Erleichtert liess ich mich die letzten paar hundert Meter mitnehmen. Das anschliessende späte Mittagessen schmeckte fantastisch. Für die zwölf Kilometer lange Strecke brauchte ich dank der Höhenunterschiede und des schweren Gepäcks sechs Stunden. Ohne Frühstück nachvollziehbar.

Der Rest des Tages verlief dafür umso reibungsloser. Ein ortskundiger Omani fuhr mich nach Al Fara'a, einem aus Steinhäuser bestehenden Bergdorf. In die steile Felswand wurden Terrassen gehauen, auf denen Palmen und Sträucher wuchsen. In einem Tal an einem kühlen Fluss mit natürlichem Pool zum Schwimmen schlug ich mein Nachtlager auf. Nach Sonnenaufgang wanderte ich zum nächsten Bergdorf, ähnlich abenteuerlich in den Fels gehauen. Dort entsprang auch die Quelle, die über weit verzweigte Wasserkanäle das ganze Tal mit Wasser versorgte. Vom Bauherr eines Hotels wurde ich ins Tal gefahren und bei sich zu Hause zum Frühstück eingeladen, zusammen mit seinen beiden Landschaftsarchitekten. Im Supermarkt deckte ich mich anschliessend mit reichlich Nahrungsmitteln ein. Mit zwei Hirten konnte ich nach Yasib mitfahren, dem Dorf mit dem Canyon. Die Fahrt war lang und führte mich in ein Gebiet fernab jedes Mobilfunknetzes. Während ich nun die wärmende Sonne geniesse, beobachte ich die autofreie Bergstrasse, die sich den Berg hoch schlängelt. Mein nächstes Ziel ist die Krete von Jebel Shams, der höchsten Gebirgskette im Land.

 Im Himmel des Oman

Der Übergang von Himmel zu Erde ist fliessend. Bis in die Unendlichkeit erstreckt sich die tief unter mir liegende omanische Wüstenlandschaft. Vereinzelte Gebirgszüge ragen in die Höhe. Städte und Dörfer liegen verstreut in den fruchtbaren Wadis. Über allem erstreckt sich ein wolkenloser, tiefblauer Himmel. Dazwischen verbirgt ein unscharfes, dunstiges, braun-blaues Band die Stelle, wo eigentlich der Horizont sein müsste. Es herrscht eine gespenstische Ruhe. Die wärmende Sonne wird vom empfindlich kühlen Wind übertrumpft. Ich stehe auf dem Gipfel von Jebel Shams, dem Berg der Sonne. Mit knapp 3000 Meter ist er die höchste Erhebung im Land. Die Strasse dorthin endet jedoch bereits in einem kleinen Dorf auf 1900 Meter Höhe. Von dort führt ein spektakulärer Pfad der Klippe des Wadi Nahkr entlang, auch als der Grand Canyon Omans bekannt. Die schroffen Felsen leuchteten am frühen Morgen blutrot im warmen Licht der aufgehenden Sonne. Ohne Hast genoss ich den Aufstieg durch erstaunlich abwechslungsreiche Vegetation. Ich begegnete nur einer Handvoll anderer Wanderer. Nach elf Kilometern und knapp sieben Stunden erreichte ich schliesslich den Gipfel.

Es war eine nicht ganz komplikationsfreie Vorbereitung bis dorthin. Vor zwei Tagen wurde ich schliesslich zu einer längeren, unfreiwilligen Wanderung gezwungen. Auch nachdem ich die Landschaft zum wiederholten Mal durch den Feldstecher abgesucht hatte, blieb die Bergstrasse verkehrsfrei. Der beissende Wind, die dunkeln Wolken und meine knappen Wasservorräte bereiteten mir Sorgen. Missmutig begann ich, mich die wenig attraktive Schotterstrasse hoch zu schleppen. Stets mit dem lästigen Gedanken im Hinterkopf, dass ein vorbeifahrendes Auto sämtliche Strapazen überflüssig gemacht hätten. Doch je näher ich der Kreuzung mit der Hauptstrasse kam und mich noch immer kein Auto überholt hatte, desto sicherer wurde ich, die richtige Entscheidung getroffen zu haben. Am späten Abend erreichte ich schliesslich den Dorfrand. Unter dem Glühen eines kitschigen Abendorts, das ich nicht mehr geniessen konnte, bereitete ich mein Nachtlager vor. Ich schlief schlecht. Bis auf sechs Grad fiel das Thermometer, zu kalt ohne Zelt. Nach einer unruhigen Nacht wurde ich mit einem prächtigen Sonnenaufgang zumindest teilweise entschädigt.

Nach einem herzhaften Frühstück nahm ich mir vor, den 'Balcony Walk' zu laufen. Diese wenig anstrengende Wanderung führt der Felswand des Wadi Nahkr entlang. Ohne grosse Höhendifferenzen ist sie für Touristen aller Art geeignet und war dementsprechend gut besucht. Umwerfende Aussichten ins weite Tal entschädigten jedoch kaum für das übertrieben hohe Aufkommen am Berg. Glücklicherweise konnten jedoch längst nicht alle Wanderer die gesamte Strecke zurücklegen. So kam es, dass ich beim Endpunkt des Weges zeitweise komplett alleine war. Am nördlichen Ende des Tales lag, eingebettet zwischen steilen Felswänden, ein malerischer Bergsee. Dahinter versteckte sich, nicht ganz einfach zugänglich, eine kleine Grotte. Von Stalaktiten tropfte Wasser in flache, natürliche Wasserbecken. Mächtige Stalagmiten ragten wie Altare aus Kalk in die Höhe. Moose, Farne und andere Grünpflanzen kämpften um die begehrten Plätze mit ausreichend Sonnenlicht. Es bleibt lediglich zu hoffen, dass dieser Ort noch lange so unberührt bleibt.

Auch auf dem Gipfel des Jebel Shams ist es höchste Zeit, mit dem Abstieg zu beginnen. Dass ich das Dorf nicht mehr bei Tageslicht erreichen würde, ist von Anfang an klar. Nach gut zwei Stunden zügigen Laufens montiere ich die Stirnlampe. Sobald die Sonne hinter den Bergen verschwindet, fällt die Temperatur deutlich. Der eben aufgegangene Vollmond hilft mir kaum, den richtigen Weg zu finden. Umso mehr jedoch die an den Wanderwegmarkierungen angebrachten, reflektierenden Aluaufkleber, die mich wie Glühwürmchen sicher durch die Nacht begleiten. Mit guter Musik auf voller Lautstärke erreiche ich nach gut vier Stunden konzentriertem Abstieg die ersten Häuser des Dorfes. Dreizehn Stunden war ich insgesamt unterwegs und bewältigte dabei 22 Kilometer und 2200 Höhenmeter Auf- und Abstieg. Ich bin glücklich, stolz und zufrieden. Voller Vorfreude laufe ich die letzten paar hundert Meter zu meiner Unterkunft, die ich mir gestern zu einem Viertel des Normalpreises ergattern konnte. In der wohligen Wärme des Zimmers überkommt mich bald eine unendliche Müdigkeit.

 Feuerwerk in Nizwa

Grün blinkende Lichter übersäen den Sternenhimmel. Gut zwanzig Drohnen zähle ich, die regungslos in der Luft schweben. Die Stadtmauer wird mit einer aufwendig und präzis programmierten Lichtshow beleuchtet. Von den Zinnen speien Flammenwerfer rot-blaues Feuer in die Nacht. Zuckerstöcke rauschen und glitzern weiss. Aus grossen Lautsprechern ertönt die Nationalhymne Omans. Ein Countdown erscheint. Tausende Leute zählen laut mit. Die Spannung ist greifbar. Bei null beginnt ein Feuerwerk unglaublichen Ausmasses. Im Sekundentakt werden Raketen in den Nachthimmel von Nizwa geschossen. Rot, blau, grün und gelb explodierende Böller, teils riesig und ohrenbetäubend laut, teils klein und intensiv funkelnd. Gut zwanzig Minuten dauert das Spektakel. Es wurden weder Mühe noch Kosten gescheut, um dem Volk ein unvergessliches Erlebnis zu bereiten. Fünf Tage ist es her, seit der aktuelle Sultan Haitham bin Tariq sein fünftes Jahr als Herrscher von Oman zu Ende brachte. Aus diesem Anlass wurden landesweit verschiedene Festlichkeiten geplant.

Es war ein glückliches Timing meinerseits, genau an diesem Tag in Nizwa anzukommen. Ich beschloss, in der Stadt nicht im Freien zu schlafen, sondern mir eine Unterkunft zu gönnen. Für nur sechs Rial sicherte ich mir das letzte Bett in einem Massenschlag. Ohne schweres Gepäck lief ich ins Zentrum der ehemaligen Hauptstadt Omans und schlenderte durch farbenfrohe Marktstände, die Waren aller Art anboten. Ich erklomm die imposante Festung und genoss die Klänge und Tänze einer traditionellen Musikgruppe. Auch am nächsten Tag hielt mein Glück an, fand dann nämlich der wöchentliche Ziegenhandel statt. Während die Käufer auf den Treppenstufen eines grossen, runden Pavillons sassen, hetzten die Verkäufer darum herum. Wenig zimperlich zerrten sie ihre Ziegen mit und schrien das jeweils höchste Gebot in die Runde Interessenten begutachteten und untersuchten die Tiere gewissenhaft, bevor sie ihr Gebot abgaben. Ziege um Ziege wechselte so ihren Besitzer. Doch auch Kühe, Schafe, Kaninchen, Küken und Wellensittiche standen zum Verkauf. Meine Zimmergenossen vom Hostel, mit denen ich den Marktplatz besuchte, hatten sich ebenfalls kein Tier gekauft und so liefen wir zu dritt wieder zurück. Mein ursprünglicher Plan war, zeitig in Richtung Jebel Al-Akhdar zu trampen. Doch nachdem ich die Pläne der beiden Schweizer mitbekommen hatte, entschloss ich, mich dort anzuschliessen.

Mit dem Mietauto fahren wir nach Jabreen. Die dortige Festung übertraf diejenigen von Nakhal und Nizwa bei weitem. Unscheinbar von aussen, ist das Innere geprägt von verwinkelten Gängen, Zimmern, Schächten und Falltüren. Decken aus Holz sind mit filigranen religiösen und mythischen Muster geschmückt. Historische Artefakte sind liebevoll inszeniert in den Räumen zur Schau gestellt. Dezentes Licht hebt aufwendig in den Stein gemeisselte Schriften hervor. Zwei Stunden verbrachten wir in der wenig touristischen Festung, bevor wir uns wieder auf den Heimweg machten. Blöderweise schien die Sonne bei einer Autobahnauffahrt in einem derart ungünstigen Winkel, dass wir für einen kurzen Moment nichts mehr sahen. Dies reichte jedoch schon, um den Wagen in den Strassengraben zu steuern. Da wir glücklicherweise sehr langsam unterwegs waren, kamen wir mit dem Schrecken davon. Das hintere linke Rad jedoch hing einen guten Meter in der Luft, sodass wir aus eigener Kraft nicht mehr zurück auf die Strasse kamen. Hilfsbereite Omanis montierten kurzerhand ein Seil und zogen uns auf dem Schlamassel. Mit ein paar zusätzlichen Schrammen im Lack des Autos ging es weiter ostwärts. Bald verabschiedete ich mich, um einen Abstecher in die Berge zu machen. Die vergangenen zwei Tage waren eine willkommene Abwechslung. Teils laut und hektisch, aber wieder Mal unter Menschen. Längere Gespräche geführt statt nur ein paar Wörter in gebrochenem Englisch im Auto eines Omani ausgetauscht. In vertrauter Sprache und Kultur, ohne darauf bedacht sein zu müssen, etwas Unpassendes zu sagen. Ich vermisste es. Nach meinem Aufenthalt im Jebel Shams Gebirge kam ich nämlich nie mehr ganz in den gleichen frohen, optimistischen und entspannten Flow wie in der ersten Woche. Alles schien mir etwas schwieriger. Ich war zeitweise traurig und wusste nicht warum. Erst jetzt wurde mir klar weshalb.

 Am Fusse der Gipfel entlang

Obwohl es zur Freude Grund genug gegeben hatte. Von Jebel Shams fand ich rasche eine Mitfahrgelegenheit. Die beiden omanischen Hotelbesitzer waren sehr daran interessiert, wie man in Europa ein Date oder einen One-Night-Stand mit einer Frau kriegt und fragten mich ausgiebig aus. Nach kurzer Zeit erreichte ich Al-Hamra. Dank der verzweigten Falaj, den Wasserkanälen, hob sich die Stadt wie eine grüne Oase aus der Wüste ab. Hunderte von Palmen spendeten Schatten und das viele Gras bot ausreichend Nahrung für die umherziehenden Schafherden. Ich erkundete den Stadtkern mit den teils 400 Jahre alten Häusern aus Lehm. Längst unbewohnt, sind sie teils mehr, teils weniger in sich eingestürzt. Aus diesem Grund wurde mir auch davon abgeraten, in einer solchen Ruine zu übernachten. Am Stadtrand auf einem kleinen Hügel fand ich jedoch einen alten Aussichtsturm. Durch die kleine Öffnung kroch ich ins Innere, quetschte mich die enge Wendeltreppe hinauf und verbrachte auf dem Dach eine sternenklare, wenn auch windige Nacht.

Am nächsten Morgen fuhr ich per Anhalter nach Misfat al Abriyeen. Dass dieses Bergdorf in jedem Reiseführer vorkommt, war augenscheinlich. Die Fassaden waren voller Informationstafeln, Schilder wiesen den Weg zum nächsten Guesthouse, Restaurant, Museum, Kunstgalerie oder Café. Einheimische waren keine zu sehen. Ich verliess das Dorf und lief bis zur Quelle der Falaj, die unspektakulär aus einem Wadi floss. Viel mehr gefallen hat mir der 'Garden Walk'. Auf in den Hang gebauten Terrassen wurden Palmen, Stauden, Obst und Gemüse kultiviert. Der Wanderweg führte durch abwechslungsreiche Plantagen und bot zum Schluss eine tolle Aussicht auf das Dorf mitsamt Terrassen. Mein Nachtlager richtete ich etwas abseits einer Bergstrasse ein. Kleine dornige Bäume, von der untergehenden Sonne orange-rot beleuchtet, verliehen der Landschaft einen Anblick wie aus der afrikanischen Savanne.

Am nächsten Morgen liess ich mich bis nach Ash Sharaf mitnehmen, dem Pass am Ende der Bergstrasse. Es begrüssten mich ein beissender, eiskalter Wind, Wolken und Nebel. Die Route, die ich geplant hatte, verlief einer Schotterstrasse entlang bis zu einem kleinen Hügel weit unterhalb des Gipfels des Jebel Shams. Ich machte sofort kehrt und trampte wieder zurück ins Tal. Ich war ziemlich überrascht, als ich dort drei Kamele antraf. Von einem Hirten war weit und breit nichts zu sehen. Die Vorderbeine waren zusammengeschnürt, sodass nur winzig kleine Schritte möglich waren. Friedlich rissen sie Blätter aus stacheligen Bäumen. Die Dornen schienen ihnen dabei gar nichts auszumachen. Auch eine Abfallmulde wurde geplündert. Besonders schien ihnen Karton zu schmecken, auf dem sie genüsslich herumkauten und hinunterschluckten. Es waren schöne Tiere, mit langen Wimpern und tiefbraunen Augen, die zutraulich waren, die menschliche Nähe suchten und sich auch problemlos streicheln liessen.

Genauso überrascht war ich von der Al Hoota Höhle. Missmutig hatte ich den überrissen hohen Eintrittspreis gezahlt. Mit einem kleinen Elektroauto wurde ich zum Eingangstor der Höhle chauffiert. Die ersten, mickrigen Stalagmiten liessen nichts Gutes erhoffen. Ich irrte mich gewaltig. Ich folgte dem schmalen Weg und fand mich in einer riesigen Halle wieder. In allen Grössen und Formen hingen Stalaktiten von der Decke. Mit meiner Stirnlampe leuchtete ich tiefe Spalten aus und sah hunderte Fledermäuse, die friedlich vor sich hin dösten. Wo sich Stalaktiten mit Stalagmiten trafen, entstanden beeindruckende Altare so hoch wie ein zweistöckiges Haus. Mit etwas Fantasie sah ich in den Formationen Löwen, Elefanten und Affen herumturnen. Der öffentlich zugängliche Teil endete bei einem See, in dem an die ewige Dunkelheit angepasste Fische ohne Augen schwammen. In weiter Ferne verlor sich der See in tiefschwarzer Finsternis. Dahinter führte die Höhle noch tiefer in das Berginnere. Obwohl der vordere Teil nur etwa zehn Prozent ausmacht, war die Vielfalt an Formationen atemberaubend und etwas vom Besten, das ich je sah. Abgerundet wurde der Besuch mit einer grossen Ausstellung zur Geologie im Oman. Verständlich erklärt und mit spannenden Exponaten ebenfalls ein Höhepunkt.

Die Nacht verbrachte ich im Wadi Tanuf. Ich konnte bei drei französischen Bergsteigern bis zum Ende der Schotterstrasse mitfahren. Da das Auto jedoch voll war, stand ich auf dem Trittbrett auf der Fahrerseite und hielt mich am Türrahmen fest. Gemütlich schlitterten wir auf den Kieselsteinen in die Berge. Es fühlte sich ein wenig an wie Surfen. Meinen Schlafplatz richtete ich am Eingang einer sehr schmalen und extrem hohen Schlucht ein. Am nächsten Morgen erkundete ich den Wasser führenden Canyon. Ich hüpfte von Stein zu Stein, bis mir ein grosser Teich das Weiterkommen verunmöglichte. In der Hoffnung auf eine baldige Mitfahrgelegenheit machte ich mich auf den Rückweg. Der Grossteil des engen Wadis lag noch im Schatten. Bei angenehmen Temperaturen lief ich Kilometer um Kilometer und genoss die Ruhe, die Abgelegenheit und die wilde Landschaft. Nach und nach erreichte die Sonne immer grössere Abschnitte des Tals und liess die Felsen feuerrot erstrahlen. Nach gut zwei Stunden erreichte ich wieder Zivilisation und trampte von dort schliesslich nach Nizwa.

 Überreste des Krieges

Die eisige Kälte reisst mich aus dem unruhigen Schlaf. Der Wind durchdringt den Schlafsack, als wäre es nichts. Meine Nase scheint eingefroren, ich zittere. Ich schaue auf die Uhr: erst zwei Uhr in der Früh. Ich ziehe die Beine an die Brust, vergrabe die Hände unter mir und schaffe es, nochmals zwei Stunden zu dösen. Um vier Uhr stehe ich auf und packe meine Sachen. Die Überreste des Skorpions, den ich gestern Nacht beim Einrichten meines Nachtlagers fand, kleben noch immer an demselben Stein. Im Schein der Stirnlampe laufe ich durch die sternenklare Nacht. Plötzlich höre ich ein Rauschen, das immer wie lauter wird. Beeindruckt schaue ich den beiden Vögel nach, die wie Düsenflieger in einem Affenzahn in Richtung Tal schossen. Für mich geht es in die entgegengesetzte Richtung. Der Aufstieg wärmt und bald macht die Dämmerung die Stirnlampe überflüssig. Ich vergleiche das Gelände mit der Karte auf Google Maps und lege mir eine Route zurecht. Durch dieses abgelegene Gebirge führt kein offizieller Wanderweg. Loses Gestein erschwert das Vorankommen. Nach zwei Stunden erreiche ich den Ort, an dem laut Google die al Ma'awil Höhle sein sollte. Nichts ausser Steine und Sand. Ich erreiche die Stelle, die der Geocacher markiert hat. Ebenfalls ohne Erfolg. Ich studiere Fotos und nähere mich in mühsamer Kletterarbeit im steilen Gelände immer wie mehr meinem Ziel. Ich bin erleichtert, als ich endlich die ersten Ruinen erblicke. Nach der fordernden Detektiv-Arbeit erhoffe ich mir eine spektakuläre Sehenswürdigkeit. Leider werde ich enttäuscht. Die Höhle ist kaum mehr als ein grosser Felsvorsprung. Die Steinhäuser sind grösstenteils in sich eingestürzt. Alles ist voller Abfall und Ziegen- und Eselkot. Es stinkt. Der Geocache, aufgrund dessen ich mich für diese Wanderung entschied, wurde seit seiner Veröffentlichung vor knapp sechs Jahren nie geloggt. Ich verstehe jetzt weshalb. Ich schicke dem Cacher die richtigen Koordinaten, korrigiere den Eintrag auf Google und laufe weiter.

Was auf der Karte wie ein Katzensprung mit leichter Steigung aussieht, ist unter der sengenden Sonne und mit schwerem Gepäck eine halbe Weltreise. Ich höre Musik und kämpfe mich Kilometer für Kilometer die karge Landschaft hinauf. Eine Überraschung bot sich in Form einer leeren, verrosteten und schweren Patronenhülse. Ein mächtiges Kaliber, 20 Millimeter im Durchmesser, 10 Zentimeter lang und mit zahlreichen Stanzungen. Lediglich ein GB kann ich entziffern. Alles deutet darauf hin, dass es sich um ein Projektil eines britischen Kampfflugzeuges handeln muss. Diese standen dem Sultan im Jebel Al-Akhdar Krieg der 1950er-Jahre unterstützend zur Seite. Mit dem historischen Artefakt im Rucksack erklimme ich die letzten Höhenmeter bis zur Krete. Ich drehe mich um und geniesse die endlose Weite. Auf einfachem Terrain überquere ich das Hochplateau, bis ich die Hauptstrasse erreiche. Per Anhalter trampe ich wieder nach Birkat Al Mouz, wo ich vor zwei Tagen meinen Abstecher in das Jebel Al-Akhdar Gebirge startete.

Mitfahren dorthin konnte ich bei einem überaus freundlichen Einheimischen, der mir auch anbot, bei ihm zu essen und zu übernachten. Ich bedankte mich und liess mich bei den Ruinen von Wadi Bani Habib absetzen. Aufgrund der verwendeten Baustoffe, die immer wie mehr in sich zerfielen, sowie der schwierig erreichbaren Lage wurden die beiden Dörfer zu Grosselterns Zeiten verlassen. Vor allem das am Osthang gelegene Dorf war noch erstaunlich gut erhalten. Ich erkundete die Geisterstadt, bis ich Schüsse hörte. Ich stieg auf die Krete und sah drei Männer auf einem Teppich liegen. Auf einem Stein aufgelegt lag ein Gewehr mit Zielfernrohr. In gut 100 Meter Distanz auf der gegenüber liegenden Seite des Tals waren weisse Porzellanscheiben in die Felsspalten geklemmt. Dazwischen verlief eine Wasserleitung. Unter Gelächter und lautem Geschwätz feuerten die Männer abwechselnd auf die Ziele. Die Schüsse knallten ohrenbetäubend. Ab und zu explodierte eine Scheibe und wirbelte eine Staubwolke auf. Es ging nicht lange und sie boten auch mir an, mein Glück zu probieren. Ich schoss zweimal liegend, doch hatte Mühe mit der sich im Zielfernrohr spiegelnden Sonne. Sitzend hatte ich einen besseren Durchblick und unter den überraschten Ausrufen der Männer zerbarst eine Porzellanplatte in ihre Einzelteile. Immer wie schneller näherte sich die Sonne dem Horizont und ich begann, mein Nachtlager einzurichten. Ich befand mich auf 1900 Meter Höhe, wo die Nächte im Freien empfindlich kalt werden. Ich entschied, mich im am besten erhaltenen Gebäude einzuquartieren. Einer kleinen, verlassenen Moschee. Ich verbarrikadierte die Fenster und schloss die schweren Eisentüren. Zusammen mit einer Schwalbe, die im Dachgiebel ihr Nest hatte, verbrachte ich eine erholsame Nacht. Draussen rauschte der Wind unerlässlich durch die verlassenen Gassen.

Am nächsten Morgen spazierte ich durch die drei Dörfer Al Aqur, Al Ain und Al Sharaijah. Der als 'Three Villages Hike' bekannte Weg führt durch weitläufig angelegte Terrassenbauten. Falaj führen das eiskalte Bergwasser zu den kultivierten Feldern. Saftig grüne Gräser und Stauden spriessen dort aus dem Boden und stehen in starkem Kontrast mit der sie umgebenden Wüstenlandschaft. Der Grossteil der Terrassen liegen jedoch bracht. Es sei nicht die beste Jahreszeit für einen Besuch, hiess es. Während im Frühling und Sommer die Bäume Früchte tragen und das Gemüse geerntet wird, sei es im Winter zu trocken für Landwirtschaft. Die Aussichten ins Tal und die paar bewirtschafteten Felder waren jedoch den Spaziergang allemal wert. Gut gelaunt probierte ich am Nachmittag, nach Al Sugra zu trampen, dem Ausgangspunkt meiner Wanderung zur Höhle mit dem Geocache. Leider endete die Fahrt frühzeitig an einer Kreuzung im Nirgendwo. Zwei Stunden marschierte ich entlang der staubigen Schotterstrasse, ohne dass ein Auto gekommen wäre. Erschöpft hoffte ich auf eine günstige Unterkunft im Bergdorf. Dieses stellte sich jedoch als Touristenziel der obersten Luxusklasse heraus. Unwillig, für eine Nacht 90 Rial zu bezahlen, verliess ich das Dorf wieder. Ich stieg zum Wadi hinunter und stellte mich auf eine kalte Nacht ein.

 Unterwegs mit dem Missionar

Ich laufe der Leitplanke der Autobahn entlang, wo ich ungünstigerweise abgesetzt wurde. Die meisten Fahrer würdigen mich keines Blickes. Die anderen bremsen bei 120 km/h verständlicherweise nicht ab. Bis ein glänzend sauberer Mercedes langsam auf mich zurollt. Erleichtert steige ich ein. Mir blickt ein älterer, dicker Mann entgegen. Sein Sitz ist weit zurückgelehnt. Er atmet schwer. Die Klimaanlage läuft auf Hochtouren. Ich steige ein und bedanke mich. Auf eine Reaktion warte ich vergebens. Mit eiserner Miene beginnt er, Sätze auf Arabisch zu murmeln und mit seinen dicken Fingern mitzuzählen. Als er damit fertig ist, fragt er mich, woher ich komme. Ohne eine Antwort abzuwarten, sagt er mir, er möchte mit mir über den Islam sprechen. Er zückt sein Telefon und sagt etwas auf Arabisch. Kurz darauf spuckt Google die englische Übersetzung aus. 'You are destined to meet me.', 'I will show you the meaning of Islam.', 'Allah will reveal the reason of your existence on this earth.', 'You will cry Tears of joy.' und so weiter. Schnell werden seine Aussagen repetitiv und langweilig. Ich schalte auf Durchzug und nicke, wenn er mich anschaut. Über zwei Stunden Fahrt trennen mich von meinem Ziel. Er würde mich bis dorthin bringen, hat er mir versprochen. Ein Glücksfall, für den seine Vorträge mit missionarischen Absichten ein verkraftbarer Preis ist. Nach einer Zeit drückt er mir sein Telefon in die Hand. Auf YouTube erzählt ein indischer Guru, warum er zum Islam konvertiert sei. Sein Vortrag interessiert mich genauso wenig. Aber wenigstens ist nun der Fahrer ruhig. In der Hälfte des Videos verlässt er die Autobahn und parkiert vor einem Restaurant. Zu faul, um auszusteigen, hupt er so lange, bis ein Angestellter hinauskommt. Er bestellt für uns je ein Schawarma und erklärt, dass dies sein Restaurant sei. Wir essen und er zeigt mir weitere Videos, Grafiken und Texte, die mich überzeugen sollen. Je länger je mehr tritt das Gegenteil ein. Ich werde ungeduldig und will weiterfahren. Dort sei das Taxi, meint er, das fahre direkt an die Küste. Schimpfend steige ich aus. Er macht grosse Augen. Es ist das erste Mal, dass ich auch in seinem Gesicht Emotionen sehe.

Ansonsten kann ich mich über den vom Autostoppen geprägten Tag nicht beschweren. Am Morgen erkundete ich noch Birkat al Mouz, das mich mit den vielen Palmen, Falaj und abbruchreifen historischen Häusern stark an Al-Hamra erinnerte. Statt in die Wüste entschied ich mich, zuerst an die Nord-Ost-Küste zu reisen. Mein Ziel war, ein paar Nächte um Neumond in der Wüste zu verbringen. Davon erhoffte ich mir den eindrucksvollsten Blick in die Sterne. Da der Mond erst im dritten Viertel stand, machte dieser Umweg über Muskat für mich Sinn. Ich musste selten lange auf eine Mitfahrgelegenheit warten. Bei gut zehn teils mehr, teils weniger gesprächsfreudigen Männern durfte ich auf dem Beifahrersitz Platz nehmen. Dass ich die Strecke von 250 Kilometer nur einem Halbtag zurücklegen kann, hätte ich nicht gedacht. Umso glücklicher war ich, kurz nach Sonnenuntergang Dibab erreicht zu haben. Am Strand hinter einer Düne legte ich meinen Schlafsack aus und schlief bald ein.

 Durch grüne Täler und eisige Grabkammern

In diese Gegend kam ich hauptsächlich, um drei Wadis zu erkunden: Al Arbeieen, Shab und Tiwi. Alle seien wunderschön, führen Wasser und sind einen Abstecher wert. Durch das Wadi Al Arbeieen führt eine sehr abenteuerliche Schotterstrasse. Die extremen Steigungen liessen mir ein paar Mal das Herz in die Hosen rutschen und die Augen schliessen. Unbeschadet erreichten wir das Ende der Strasse. Von dort führt ein unmarkierter Pfad weiter. Man solle sich einen Guide leisten, raten mir Touristen, die sich auf dem Rückweg befinden. Ich nehme es als Herausforderung und probiere es ohne. Den Spuren im Sand, die tausende von Menschen hinterlassen haben, ist einfach zu folgen. Auch die in unregelmässigen Abständen platzierten Steintürme sind hilfreich. Schwieriger wird es bei den felsigen Abschnitten. Unbeirrt springe ich von Stein zu Stein, laufe durch Schilf, folge einem Falaj und komme gut vorwärts. Neben mir plätschert der Bach talwärts. Das Wasser ist kühl und glasklar. Wo sich nach Kaskaden kleine Pools bilden, sieht man kaum, wo das Ufer aufhört und das Wasser beginnt. Nach einer knappen Stunde abwechslungsreichen Wanderns verschmälert sich das breite, sanft abfallende Tal und weicht steilen Felsen. Ich erreiche einen grossen Pool, den ich von den vielen Fotos auf dem Internet wiedererkenne. Ich erkunde die Umgebung und werde bald von einer Gruppe Touristen begrüsst. Ich schliesse mich den Deutschen, Franzosen und ihrem Guide an und wate mit ihnen ins kalte Wasser. Aushaltbar ist es nur an einer Stelle, wo heisses Wasser aus dem Felsen fliesst. Wir springen, teils mehr, teils weniger ängstlich von einem etwa sechs Meter hohen Felsen. Schon bald verabschiedet sich die Gruppe. Ich bereite mein Nachtlager vor und beobachte die dunkeln Wolken, die den Himmel immer wie mehr bedecken. Es sein ungefährlich, hier zu schlafen, teilte mir der Guide noch mit. Jedoch nur, solange es trocken bleibt. Beim kleinsten Regen soll ich mein Zeug zusammen packen und zurück ins Dorf laufen. Kleine Rinnsale werden dann nämlich innert kürzester Zeit zu tödlichen, reissenden Strömen. Nach Einbruch der Dunkelheit besuchen mich ein paar neugierige Mäuse. Die Ohren gespitzt schnüffeln sie an meinen Sachen herum. Bei der kleinsten Bewegung huschen sie wie der Blitz zurück in ihr Loch. Frösche hüpfen meckernd ins schützende Wasser, wenn ich zu nahe an ihnen vorbeilaufe. Mit dem Rauschen des kleinen Wasserfalls im Ohr schlafe ich rasch ein. Vom Regen werde ich glücklicherweise verschont.

Zwei Stunden dauerte die Fahrt zu den Jaylah Beehive Tombs. Ich sah Fotos auf Google Maps und war fasziniert. Runde, sich nach oben verjüngende Steintürme mit einem extrem schmalen Eingang, über die wenig bekannt ist. Gut 4000 Jahre alt sollen sie sein und als Grabkammern gedient haben. Menschliche Überreste wurden jedoch nie gefunden. Auch wie die Sandstein-Konstruktionen gebaut wurden, wirft Rätsel auf. Einer Legende nach hat ein Dämon sie errichtet, bevor er von einem heldenhaften Ziegenhirten zur Strecke gebracht wurde. Seitdem ragen die 90 Türme wie geheimnisvolle Relikte aus längst vergessenen Zeiten in den Himmel. Es ist kalt auf 2000 Metern Höhe. Über die endlose Wildnis des Hochplateaus zieht ein eisiger Wind. Die Italiener, mit denen ich mitfahren durfte, schiessen ein paar Fotos und machen sich auf den Rückweg. Im Licht der letzten Sonnenstrahlen betrachte ich die Aussicht und verschlinge mein Abendessen. Ich muss dringen Schutz vor dem Wind suchen. Ich stosse meinen Rucksack durch die kleine Öffnung einer Grabkammer. Auf allen vieren robbe ich hinterher. Es ist spürbar wärmer, wenn auch etwas klaustrophobisch. Kein Licht dringt durch die dicken Steinmauern. Seit der Bronzezeit halten sie der Witterung stand, dann werden sie wohl noch eine weitere Nacht stehen bleiben, versichere ich mir. Mit jeder Minute sinkt die Temperatur weiter. Ich falle in einen unruhigen Halbschlaf und träume von Zimmern und Häuser. Gegen vier Uhr verstopfe ich mit meinem Rucksack den Eingang. Es ist nur knapp über dem Gefrierpunkt. Zwei Stunden später schrecke ich aus dem Schlaf. Die Sonne scheint durch die nach Osten ausgerichtete Öffnung und lässt die Umrisse meines Rucksacks in einem goldenen Licht scheinen. Hastig packe ich meine Sachen und quetsche mich aus der Grabkammer. Die Londoner, die unweit von mir die Nacht verbrachten, verräumen die letzten Sachen im Auto. Zusammen fahren wir zurück an die Ostküste. In der wohligen Wärme des Campers beginne ich langsam wieder aufzutauen.

Ich gönne mir ein günstiges Hotel und verbringe den Tag mit Essen und Entspannen. Ich schwimme im Meer, im Pool und geniesse kühle Getränke. Ich beantworte Mails, reinige meine Ausrüstung und gehe früh schlafen. Am nächsten Tag erkunde ich das Wadi Shab. Scheinbar sehr touristisch, nehme ich die erste Fähre um sieben Uhr, die mich an den Startpunkt schifft. Gemütlich spaziere ich das menschenleere Tal entlang, bis der Pfad bei einem Fluss endet. Ich verpacke meine Wertsachen im Drybag und verstecke den Rest am Ufer. Ich schwimme durch die mäandernde Schlucht, deren Felsen durch das viele Wasser glatt geschliffen wurden. Ich erreiche eine Stelle, wo man kurz untertauchen muss, um in eine Höhle zu gelangen. Dort erwartet mich ein wilder Wasserfall, der das Wasser aufschäumen lässt. Das Rauschen hallt laut in der Höhle. Ich greife die Seile, die links vom Wasserfall befestigt sind, und klettere hinauf. Am Kopf des Wasserfalls quetsche ich mich durch eine kleine Öffnung und gelange zu einem grossen Pool. Ich geniesse die Ruhe, die abwechslungsreichen Texturen der Felsen, das erfrischende, glasklare Wasser und mein Frühstück. Als ich mich zwei Stunden später wieder den Fluss hinuntertreiben lasse, begrüsst mich eine Heerschar von Touristen. Fasziniert schaue ich dem emsigen Treiben zu. Schwimmen können erstaunlicherweise die wenigsten. Der Grossteil kämpft sich mühsam in viel zu grossen Rettungswesten flussaufwärts. Ich lerne einen spannenden Künstler aus Holland kennen, der alltäglichen Küchenutensilien mit KI Leben einhaucht. Seinen subtilen Annäherungsversuchen probiere ich geschickt auszuweichen. Gegen Abend mache ich mich auf den Rückweg und verbringe eine entspannte Nacht an einem malerischen Kiesstrand.

Wadi Tiwi, das letzte der drei, ist das grünste. Ich trampe talaufwärts bis zu einem Geocache. Einem Falaj folgend, klettere ich über ein paar Felsen und erreiche einen verborgenen Pool. Riesige Gesteinsbrocken bilden ein natürliches Dach und spenden Schatten. Das Wasser darunter schimmert grün, wo die Sonne es erreicht. Ich geniesse die Abkühlung und lasse mich in der leichten Strömung treiben. Die anschliessende Wanderung flussaufwärts ist schweisstreibend. Kein Wind weht. Ich treffe kaum andere Menschen. Das Tal wird enger. Während links von mir steile Felsen zu hohen Gipfeln zeigen, sind rechts fruchtbare Terrassen im Hang angelegt. Palmen, saftig grüne Sträucher und Gräser verleihen dem Tal etwas Tropisches. Farne und Moose überwuchern die Felsen, wo aus den vielen Falaj Wasser tropft. Ich balanciere über eine besonders enge Passage und hoffe, mit dem Rucksack nicht ins Wasser zu fallen. Das Vorankommen wird immer wie anspruchsvoller. Ich deponiere mein Gepäck und laufe in Badehosen weiter. Ich klettere über Felsen, steige kleinere Wasserfälle hoch, in der Hoffnung, den grossen Wasserfall zu erreichen, einem der Höhepunkte dieses Tals. Doch die Steine werden immer wie steiler, glatter und glitschiger und bald siegt die Vernunft über die Abenteuerlust. Etwas weiter flussabwärts richte ich mein Nachtlager ein. Kurz nach Einbruch der Dämmerung überrascht mich eine Horde Moskitos. Zu viele, um alle umzubringen, gebe ich klein bei, packe meine Sachen und laufe im Schein der Taschenlampe zum letzten Dorf. Müde und genervt richte ich mich etwas abseits der Strasse bei einer Trafostation ein, die, aus welchem Grund auch immer, mit einem Trinkwasser-Spender ausgerüstet ist. Unter dem steten Summen des Stroms schlafe ich bald ein. Am nächsten Tag trennt mich nur noch ein kurzer Spaziergang entlang der Strasse vom Wasserfall. Aus etwa zehn Metern Höhe plätschert der Fluss in einen Pool. Ein paar Palmen wachsen am Kopf des Wasserfalls. Dahinter ragen hohe Berge in den morgendlichen Himmel. Ich hatte etwas mehr erhofft. Leicht enttäuscht vom Wasserfall, aber überwältigt vom Tal als Ganzes trampe ich wieder hinunter an die Ostküste.

 Spezialbewilligung vom boss man

Die Sternschnuppe scheint in der Luft zu schweben. Kräftig grün und rot leuchtet sie, wie eine Wunderkerze an Weihnachten. Zum Greifen nah erlischt sie über der Bucht, an dessen Ufer ich mein Nachtlager in einem kleinen Unterstand eingerichtet habe. Ich hatte mich entschieden, nach den drei Wadis einen Abstecher in das Schildkröten-Reservat zu machen. Ich wusste nicht, ob ich dort übernachten darf. Auf dem Internet fand ich widersprüchliche Informationen hierzu. Ich entschied, mich vor Ort zu erkundigen. Ein Fischer gab mir grünes Licht. Ich könne hier schwimmen und mir eine der Hütten zum Übernachten aussuchen. Diese werden nur tagsüber gebraucht und stehen in der Nacht leer. Mein Glück war jedoch nur von kurzer Dauer. Ein Ranger entdeckte mich und wies mich in höchst freundlicher Weise darauf hin, dass Campieren im gesamten Gebiet verboten sei. Ich diskutiere ein wenig, bis er jemanden anrief und mich verbindet. Ich könne hier ausnahmsweise übernachten, hiess es. Aber ich dürfe ab 18 Uhr kein Weisslicht mehr benützen, kein Feuer machen, den Sand nicht betreten und bis um 5 Uhr die Hütte nicht verlassen. Wer er den sei, fragten ich, worauf er nur antwortete: 'I'm the boss man.' Zufälligerweise kamen zeitgleich die Fischer vorbei, denen diese Hütte gehörte. Sie luden mich herzlich dazu ein, hier die Nacht zu verbringen. Ich solle noch nichts essen, er würde später mit frischem Fisch vorbeikommen. Mit der Spezialbewilligung vom boss man und den Fischern genoss ich die Abendstimmung. Nach Einbruch der Dunkelheit hörte ich einen Motor laut aufheulen. Ich sah einen Jeep, der ein langes Fischerboot über den Sandstrand zog. Vorsichtig stupste es der Fahrer anschliessend durch die Brandung, bis es die im Wasser stehenden Männer übernehmen konnten. Kurz darauf kam wie versprochen der Fischer vorbei und servierte mir fischen Fisch. Er zeigte mir Videos seiner Fänge. Nacht für Nacht hieven sie mit hunderten von Fischen prall gefüllte Netze auf ihre Boote. Diese verkaufen sie in Muskat, von wo sie nach Indien, Asien, Marokko und in die UAE exportiert werden. Man scheint gut damit zu verdienen. Er zeigte mir haufenweise Fotos aus seinen Ferien in Serbien, Bosnien, Indien, Thailand und der Türkei. Es sei nicht die richtige Saison, um Eier legende Schildkröten zu beobachten, meinte er nebenbei. Dies sehe man im Sommer häufiger. Nicht entmutigt, stellte ich meinen Wecker auf fünf Uhr. Doch im Schein des Rotlichts finde ich am Strand lediglich etwas Abfall und Beifang von letzter Nacht.

 Im Herzen der Wüste

Wie ein weisses Band hebt sich die Milchstrasse vom tiefschwarzen Nachthimmel ab. Deutlich erkennt man den Grossen Wagen, der den Weg zum Kleinen Wagen mit dem Polarstern an dessen Spitze weist. Daneben leuchtet die Kassiopeia mit ihren fünf markanten, hellen Sternen. Neben den Plejaden steht der Jupiter im Sternzeichen Stier. Im Osten jagt der aufgehende Löwe den Krebs. Darüber übertrifft der Mars die beiden Köpfe der Zwillinge in der Helligkeit. Im Süden glitzert und funkelt Sirius, verzaubernd schön wie immer. Im Grossen Hund liegend, scheint er nach dem Hasen zu schnappen. Darüber ist mit dem Gürtel des Orion das nächste Sternbild gut erkennbar. Im Westen verschwindet die Venus und der Saturn hinter dem Horizont. Ab und zu huscht eine Sternschnuppe durch das Sternenmeer. Es ist ein deutlich imposanterer Anblick als noch letzte Nacht.

Nach meiner Übernachtung im Schildkröten-Reservat legte ich 150 Kilometer per Autostopp zurück. In der Küstenstadt Sur legte ich einen kurzen Stopp ein und stieg auf einen alten Wachturm, von dem man die gesamte Region überblicken kann. Weshalb alle von dieser Stadt schwärmen, erschloss sich mir nicht. Gegen Abend erreichte ich eine kleinere Wüste, nordwestlich von Romail, die mir ein Guide empfohlen hatte. An deren Rand verläuft eine kilometerlange, eingezäunte Sandstrecke. Männer ritten auf aus etwa zehn wunderschön geschmückten Kamelen bestehenden Karawanen im Glühen der Abendsonne auf und ab. Ich überquerte die Strecke und kletterte die Dünen hoch. Ich ass und bereitete voller Vorfreude auf die Sterne mein Nachtlager vor. Doch die hellen Lichter der umliegenden Dörfer und Städte verunmöglichten leider einen klaren Blick.

Nach einer frischen, aber nicht übertrieben kalten Nacht packe ich meine Sachen und spaziere den Dünen entlang. Die Sonne steht schon hoch und heizt die Wüste kräftig auf. Es dauert nicht lange und ich muss mir einen schattigeren Weg suchen. Ich laufe an ein paar in aller Ruhe ein Gestrüpp fressende Kamele vorbei, durchquere ein verlassenes Dorf und erreiche eine wenig befahrene Strasse. Ich habe Glück und werde von einem Frischwasser-Lieferanten bis zur Autobahn mitgenommen. Dort gabelt mich ein Reisecar-Fahrer auf, der seine Touristen-Gruppe abholen geht. Relativ unproblematisch erreiche ich so Bidiyah, eine grosse und laute Stadt und das Tor zur riesigen, sich über 12'500 km² erstreckende Wahiba Wüste. Ich nutze die letzte Gelegenheit und decke mich mit ausreichend Wasser und Essen für zwei Tage ein. Am Stadtrand nehmen mich zwei Techniker mit, die an einem Telekommunikationsmast eine Wartung durchführen müssen. Zu meinem grossen Glück liegt dieser direkt neben dem letzten Camp im Herzen der Wüste, gut 40 Kilometer vom nächsten Dorf entfernt. Das Camp war für mich nie eine Option, kostet eine Nacht dort übertriebene 200 Rial. Vielversprechender fand ich das Gebiet direkt dahinter. Auf den Satellitenbildern und den paar wenigen Fotos auf Google Maps sind schattenspendende Bäume erkennbar. Ein Eintrag auf iOverlander erwähnte Wasser zum Duschen. Das reichte für mich, es auszuprobieren. Vor Ort ist es noch besser als erhofft. Eine mit Solarpanels betriebene Pumpe förderte Grundwasser in einen grossen Tank. Erhitzt durch die Sonne strömt unerlässlich heisses Wasser aus einem Schlauch. Trinkwasser kann man aus einem Wasserspender direkt ausserhalb des Camps kostenfrei beziehen. Daneben befinden sich öffentliche Toiletten. Ich wasche den klebrigen Wüstenstaub ab und erklimme erfrischt eine etwa 60 Meter hohe Düne. Im Windschatten richte ich mein Nachtlager ein und geniesse die untergehende Sonne, die den feinen Wüstensand goldig erstrahlen lässt. Eine süsse, zutrauliche und unglaublich schnelle Wüstenrennmaus leistet mir beim Sternegucken Gesellschaft und zufrieden schlafe ich ein.

Es ist vier Uhr. Der Wecker schellt. Ich blicke in den Himmel, wo ich mir in den frühen Morgenstunden ein noch intensiveres Sternenspektakel erhofft hatte. Stattdessen sehe ich nichts. Ohne gross nachzudenken, schlafe ich wieder ein. Als der Tag erwacht, staune ich nicht schlecht. Ich liege inmitten einer Wolke. Der Schlafsack, mein Rucksack, die Schuhe: alles ist mit Tau überzogen. Ich steige eine Düne hoch und sehe kaum bis zur nächsten. Alles versinkt im dichten Nebel. Während des Frühstücks zeigt sich erstmals die Sonne. Es dauert bis in den späten Vormittag, bis sich die letzten Wolken aufgelöst haben. Rasch steigen die Temperaturen in unmenschliche Bereiche. Ich beschwere den Schlafsack mit dem Rucksack und laufe zurück ins Tal. Unter den grossen Bäumen weht ein angenehmes Lüftchen. Ich stelle mich auf einen gemütlichen Nachmittag ein. Es dauert jedoch nicht lange, bis unter ohrenbetäubendem Lärm zehn hochmotorisierte Offroad-Fahrzeuge aufkreuzen. Einer nach dem anderen rast die steile, 60 Meter hohe Düne hoch. Anschliessend machen es sich die 20 Männer unweit von mir entfernt gemütlich. Laute Musik dröhnt aus grossen Boxen. Sie laden mich ein, mich zu ihnen zu setzen. Ein Becher mit Wodka macht die Runde. Vor allem bei einem jungen Mann mit Bart sind die Auswirkungen bereits jetzt offensichtlich. Ob das denn legal sei, frage ich. Im Graubereich, meinen sie schmunzelnd, sie kennen da eine Bar. Eine grosse Shisha wird angezündet. Auf dem Grill köchelt ein Haifisch-Eintopf und Reis. Dankend lehne ich alles ab. In ihrer Gastfreundschaft machen sie mir eine separate Portion Reis und wir essen zusammen. Die Stimmung entspannt sich merklich. Nach dem Essen lädt mich der 'Captain', ein Hauptmann in der Armee, auf eine Fahrt ein. Ich probiere, mich anzuschnallen, doch der Gurt klemmt. Den brauche ich nicht, meint er, ich sei bei ihm in sicheren Händen. Er lässt den Motor aufheulen und jagt die Düne hoch. Oben angekommen, lasse ich meinen Blick kurz über die endlose Weite schweifen, bevor wir wieder talwärts fahren. Ich sehe, wie die anderen die Sachen in ihre Autos verstauen. Sie haben noch einen weiten Rückweg vor sich, meint der Captain. Ich bedanke mich bei allen und verabschiede mich. Aus den Augenwinkeln sehe ich, wie der Trinkfreudige mit den Konsequenzen leben muss und sich laut würgend übergibt. Ich kühle mich unter der Dusche ab und laufe zurück zu meinem Schlafplatz. Ich finde alles so vor, wie ich es hinterlassen hatte. Ich geniesse meine dritte und letzte Nacht in der Wüste. Die Sterne scheinen noch heller zu leuchten.

Am nächsten Tag stand wieder Autostoppen auf dem Programm. Ich hatte mich für die beiden Folgetage zum Tauchen auf den Dimaniyat Inseln angemeldet. Ich hatte leichte Bedenken, die 250 Kilometer zum Hafen nicht an einem Tag zurücklegen zu können. Meine Sorgen waren unbegründet. Zwei Französinnen, die eine Nacht im Luxus-Camp verbrachten, fuhren mich aus der Wüste. Ab Bidiyah hatte ich direkten Anschluss bei einem Omani, der in den genau gleichen Vorort von Muskat musste wie ich. Seine beiden Söhne waren komplett überdreht und kämpften und schrien auf dem Rücksitz. Erleichtert, aber erschöpft und mit etwas Kopfschmerzen erreichte ich Seeb zur Mittagszeit. In der Hand hielt ich eine Kette aus Holzperlen. Ein Geschenk aus Mekka von Mohammed, dem Vater, an mich. Ich genoss den unerwarteten freien Nachmittag, ass köstlich und legte mich in einem kleinen Park am Meer früh schlafen.

 Wildcampieren in der Grossstadt

Wie ein überdimensionierter Suppenteller lieg der Federschwanz-Stechrochen faul im Sand. Als wir uns ihm nähern, beginnt sein breiter, spitz zulaufender Schwanz zu zucken. Ein paar Minuten später entdecken wir einen Oktopus. Mit einem Kopf so gross wie ein Fussball ist er nicht sonderlich ängstlich. Er zwängt sich aus seinem Unterschlupf, macht es sich auf einer Koralle gemütlich und wechselt gekonnt seine Farbe. Saugnäpfe gross wie Daumennägel gleiten tastend über den Untergrund. Felder aus Weich- und Hartkorallen erstrecken sich so weit das Auge reicht. Darin verstecken sich zahllose, teils riesige, teils kleine Gelbmaul-, Horn- und Pünktchen-Muränen und beobachten uns neugierig. Graziös gleitet ein grosser, schwarzer Stechrochen an uns vorbei. Seine Flügel krümmen sich wellenartig und entblössen seine hellgraue Unterseite. Eine kunterbunte Warzen-Nacktschnecke sticht aus dem eintönigen Sand hervor. In der Ferne schwimmt eine Meeresschildkröte in Richtung Wasseroberfläche. Es waren vier ereignisreiche und lohnende Tauchgänge, die ich erleben durfte und auch den Preis von 100 Rial rechtfertigen. Einzig mit der Kälte hatte ich zu kämpfen. Ich behalf mir, indem ich drei 3 mm Neopren Overalls übereinander anzog. Bei einer Wassertemperatur von 23 Grad begann ich so jeweils erst nach einer halben Stunde zu frieren. Die Oberflächenpausen verbrachten wir auf malerischen kleinen Inseln, wo der weisse Sandstrand langsam in glasklares, ruhiges Wasser übergeht.

Deutlich unangenehmere Erfahrungen machte ich mit meinen Übernachtungen in der Stadt. Ich war überzeugt, mit dem kleinen Park am Meer eine gute Wahl getroffen zu haben. Was ich nicht wusste ist, dass während dreier Tage nationale Feiertage sind. Dementsprechend viele Familien, Freunde und Paare genossen die warme Nacht im Freien. Es wurde grilliert, diskutiert, Musik gehört, gelacht und gelebt. Kinder spielten und schrien bis um ein Uhr in der Früh. Stolze Besitzer teurer Autos liessen die Motoren aufheulen und veranstalteten Hupkonzerte. Streunende Hunde verteidigten ihr Revier und bellten mich an. Dementsprechend unausgeschlafen erschien ich zum ersten Tauchtag. Am Abend spazierte ich der Meerespromenade entlang. Ich entdeckte ein sich im Bau befindliches Haus. Die Arbeiter lachten, als ich sie fragte, ob ich hier eine Nacht schlafen könne. Kein Problem, meinten sie, und führten mich zu einem geeigneten Platz auf der Baustelle. Ich genoss den Ausblick auf das Meer und schaute dem emsigen Treiben der Geschäfte unter mir zu. Kurz vor dem Einschlafen betrat ein älterer Omani mit Sohn die Baustelle. Englisch sprach er nicht. Als ob der ausgerollte Schlafsack nicht offensichtlich genug wäre, zeigte ich ihm mit Gesten meine Absichten an. Seine Miene verfinsterte sich. Sein Arabisch verstand ich nicht, sehr wohl aber seine wegweisenden Handbewegungen und das Wort 'police'. Ich entschuldigte mich, bat um fünf Minuten und begann, meine Sachen zusammenzupacken. Zum Schluss schien er Mitleid bekommen zu haben und rief mir ein 'I'm sorry' hinterher. Es war zehn Uhr Nachts, als ich wieder loslief. Mit grossem Rucksack und farbigen Kleidern fiel ich an der belebten Meerespromenade auf wie ein bunter Hund. Die vielen Blicke, die auf mir ruhten, waren mir unangenehm. Auf die vielen 'hellos' neugieriger Kinder antwortete ich kürzer angebunden als gewöhnlich. Zügig lief ich zu meinem Plan B. Dort wird die Marina durch einen grossen Damm geschützt. Nach einem Parkplatz führt eine kleine Sackgasse bis an dessen Spitze. Mit grossen Steinen blockierte ich den Weg für Fahrzeuge und rollte dahinter meinen Schlafsack wieder aus. Ich schlief schnell ein. Es war eine vergleichsweise ruhige Nacht. Erst gegen Morgen begann ein streunender Hund sich für mich zu interessieren.

 Prunkvoller Islam

Aufmerksam höre ich dem omanischen Guide zu. Nicht dass ich für die Tour bezahlt hätte. Doch durch die Sultan Qaboos Moschee schlendern haufenweise Touristengruppen aller Nationalitäten. Ich schliesse mich einer britischen an und erfahre, dass der imposante Kronleuchter in der Gebetshalle der Männer ganze acht Tonnen wiegt und aus 600'000 Swarovski-Steinen besteht. 600 iranische Weberinnen brauchten vier Jahre, um den 4263 m² grossen Teppich, den zweitgrössten der Welt, zu knüpfen. Das höchste der fünf Minarette, die die fünf Säulen des Islam repräsentieren, ist mit einer Höhe von 90 Meter gleichzeitig das höchste Bauwerk des Landes. 2001 fertiggestellt, ehrt die prunkvolle Moschee den von 1970 bis zu seinem Tod 2020 regierenden Sultan Qaboos. Landesweit verehrt übernahm dieser in einem coup d'état die Macht von seinem Vater und führte den Oman aus der Rückständigkeit, ausserpolitischen Isolation und dem Sklavenhandel hinein in eine fortschrittliche, nachhaltige, innovative und sichere Zukunft. Ich trampe an den Flughafen, zum wiederholten Mal in einem Taxi, für das ich nichts bezahlen muss, und bin dankbar für all diese Errungenschaften. Es ist ein Geschenk, in einem Land reisen zu dürfen, in dem man sich um seine Sicherheit keine Sorgen machen muss. Omanis lernte ich als freundliche, neugierige, respektvolle, offene und äusserst hilfsbereite und gastfreundliche Menschen kenn. Das Gleiche gilt für die unzähligen Arbeiter aus Pakistan, Indien und Bangladesch, ohne die das Land und vor allem die Infrastruktur niemals da wäre, wo sie jetzt ist. Auch betreffend Tieren sind Sorgen unbegründet. Skorpione und Schlangen sind äusserst selten und deren Gift für einen erwachsenen Menschen nicht tödlich. Malaria gibt es nicht. Grösstenteils trifft man im Oman nur auf Ziegen, Katzen und Frösche, allesamt unbedenklich. Die Natur brilliert in einer Vielfalt, die man einem Wüstenstaat nicht zutrauen würde. Durch die Bergtäler plätschern Flüsse, deren Wasser via weitverzweigte Falaj auf die Plantagen gelangen. Palmen, Gräser, Stauden, Obst und Gemüse gedeihen unter der heissen Sonne. Die Vegetation ist abwechslungsreich. Im Flachland erstrecken sich in grossen Wüsten Dünen aus feinstem Sand bis zum Horizont. In der Nacht zeigen sich Sterne und Planeten in einer unglaublichen Anzahl und Brillanz. Das Klima im Januar ist angenehm. Die Nächte sind kühl aber selten kalt, die Tage warm aber nicht unerträglich heiss. Das Essen basiert auf Reis und Fleisch, ist abwechslungsreich, gesund, lecker und sehr günstig. Kleine Supermärkte findet man in jedem Dorf, ebenso öffentliche Trinkwasser-Spender und Falaj oder Moscheen, um sich zu waschen. Ausser auf privaten Grundstücken ist es überall erlaubt, zu übernachten und ein Feuer zu machen. Ein Gesetz, das den Omanis wichtig ist und auf ihren nomadischen Ursprung hinweist. Autostoppen ist vor allem in den grossen Städten nicht verbreitet, aber dennoch überall möglich und begünstigt ein sehr flexibles Reisen.

Dass ich mich für den Oman als Reiseziel entschied, war einzig und allein ChatGPT zu verdanken. Für den einen Monat, in dem ich allein reisen würde, wollte ich Abenteuer, wenig Geld ausgeben, Wildcampieren, Autostoppen, ausreichend Sicherheit, ein warmes Klima und in eine neue Kultur eintauchen. Dieselbe KI stellte mir für den Oman auch gleich mögliche Destinationen und Routen zusammen, die mir einen guten Überblick boten, aber viel Platz für Spontanität liessen. Ich hatte genügend Informationen, um mein Abenteuer mit einem guten Gefühl starten zu können, aber nicht zu viel, um voreingenommen oder unflexibel zu sein. Es wurde zu einer Reise voller spannender Begegnungen und Erlebnisse in einer äusserst vielfältigen Landschaft. Ich verbrachte so viel Zeit im Freien wie noch nie und merkte, wie wenig es braucht, um zufrieden zu sein. Ich bin dankbar für alle Erfahrungen, die guten wie die schlechten, und dafür, gesund und unversehrt nach Hause zurückkehren zu können.

Und wie teuer war der ganze Spass?

 Flug Zürich-Muscat retour CHF 403.90
 Visum Oman OMR 20 (~CHF 50.00)
 SIM mit 40GB Daten OMR 19 (~CHF 47.50)
 Hotels & Hostels OMR 55 (~CHF 137.50)
 Tauchen 4TG OMR 100 (~CHF 250.00)
 Öffentlicher Verkehr OMR 0.3 (~CHF 0.75)
 Trinkgeld beim Autostoppen OMR 6 (~CHF 15.00)
 Essen, Eintritte & Souvenirs OMR 157 (~CHF 392.50)

Florian Zeiter, 2025
Veröffentlicht und zuletzt geändert am 07.10.2025